Die dreifache Mutter Sonja meldet sich: „Willkommen in der Zentrale des Wahnsinns!“ schon standardmäßig am Telefon. Auch jetzt, nach der langsamen Rückkehr in den Präsenz-Betrieb bei vielen Schulen und Kitas. „Kaum war die Kita des Kleinen wieder offen, war einer in der Gruppe wieder positiv getestet. Bei meinen beiden Großen in der Schule verhält es sich nicht viel anders.“ Die Nerven liegen blank: eine Routine in der Betreuung ist für Eltern kaum mehr möglich. Dazu kommen auch noch Ansagen wie: ‚Sind doch deine Kinder‘, jetzt hast du dich auch zu kümmern!‘ Verständnis für Eltern - vor allem die Mütter - ist im Moment Mangelware. Eltern kommen in der öffentlichen Debatte kaum vor. Das bisschen Betreuung, die paar Hausaufgaben, das muss doch gehen! Wir haben doch Homeoffice!“
Kinder brauchen Kinder
Was viele übersehen: die soziale Kompetenz des Menschen entwickelt sich bereits in früher Kindheit. Das Sozialverhalten wird mit Gleichaltrigen eingeübt: egal ob in Schule, Kita oder der Freizeit. Doch dieses Training fehlt in der Pandemie. Die Kinder werden immer einsamer und trauriger: „Es sind die sozialen Kontakte, die für die seelische Gesundheit entscheidend sind“, stellt Dr. Kristina Saumweber fest, „Wenn diese Kontakte wegfallen, dann ist die Einsamkeit bei den Kindern spürbar. Man merkt, dass sie immer trauriger werden oder Depressionen entwickeln.“ Eine Aussage, die von vielen Kinderärzten, Psychologen und mittlerweile auch von aussagekräftigen Studien gestützt wird.
Auch Eltern vereinsamen
Wurden Hausbesuche seitens der Frühförderung während des ersten Shutdowns noch eher verhalten nachgefragt, so sieht es in der zweiten Welle ganz anders aus. 27 Mitarbeiter kümmern sich um 260 Familien im Landkreis Freyung-Grafenau: „Die Familien sind eigentlich alle überlastet“, weiß die Heilpädagogin Anja Thamm. „Seit letzten Herbst hat sich vieles massiv verändert - während des ersten Lockdowns - mussten wir die Kontakte über Telefon, Video-Call oder auch mit ‚Gartenzaun-Besuchen‘ am Laufen halten.“ Durch die neuen Bestimmungen dürfen – unter Einhaltung der „C“-Bestimmungen - jetzt zumindest 1:1-Betreuungen zu Hause bei den Kindern stattfinden. „Jetzt werden wir von den Eltern angerufen, die uns bitten zu kommen. Wir arbeiten mit den Kleinen stundenweise an deren zunehmender motorischer Unruhe, an den Aufmerksamkeitsdefiziten und der sehr niedrigen Frustrationstoleranz.“ Auch ihre Kolleginnen teilen diese Wahrnehmung. Die Last die die Familien im Moment zu tragen haben, ist für viele Kinderlose gar nicht sichtbar. „Wir sind oft der einzige Kontakt außerhalb der Familie. Und es kommt nicht selten vor, dass wir schon im Auto auf den Weg zum nächsten Termin sitzen und eine Mutter noch ein dringendes Anliegen hat. Das klären wir dann halt noch am offenen Autofenster.“
Um während und nach Pandemie dem erhöhten Bewegungsbedürfnis der Kinder in der Frühförderung gerecht werden zu können, wurden in Freyung und Waldkirchen neue Außenstellen von der Caritas angemietet. Mitarbeiter der Frühförderung besichtigen die großzügigen Therapieräume im MVZ Waldkirchen.
Noch mal mehr Hinsehen statt Übersehen
Die Prognose in Sachen Seelischer Gesundheit für das „während und danach“ wird von den Experten als problematisch eingeschätzt. Sowohl die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) als auch die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene erachten den Lebensraum in Schule oder Kita als systemrelevant. Vor dem Hintergrund der erneuten Schließungen geben sie zu bedenken: „Mit all den sorgfältig erarbeiteten Hygienekonzepten waren große Ausbrüche bislang selten und sind auch in Zukunft unwahrscheinlich.
Regelmäßiges Testen würde den Betrieb noch weiter sichern. Solange allerdings, auch nach einem Jahr Pandemie, tragfähige Konzepte der Politik fehlen, helfen wir den Familien gerne durch diese schwere Zeit“, so die Chefin der FRG-Frühförderung, Dr. Kristina Saumweber. „Ganz nach dem Caritas–Motto 2021: #DasMachenWirGemeinsam!“