Auf seiner Sommertour begibt sich Stephen Hahn auf Spurensuche in den Bayerischen Wald, um Menschen zu begegnen, mit ihnen zu wandern oder über ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Wald zu sprechen. In einem mehrteiligen SommerSpezial berichtet er exklusiv auf WAIDLER.COM über den Wald und seine Menschen, die Menschen und ihren Wald. Dabei trifft er Menschen, die aus den unterschiedlichsten Motiven in ihrem Leben mit dem Wald verbunden sind: ökonomisch, kulturell-künstlerisch, ideologisch motiviert oder einfach qua Geburt.
Theresia Haydn lebt seit 85 Jahren im Bayerischen Wald. 1930 in Mauth geboren, hat sie nur ihre letzten Berufsjahre außerhalb des Waldes verbracht. Sie ist eine Zeitzeugin par excellence. Fast ihr ganzes Berufsleben hat sie bei den Bayerischen Staatsforsten verbracht. Kein Wunder also, dass sie im ehemaligen Forstamt Mauth-West wohnt und lebt.
Teil 4: Theresia Haydn und ihr Wald
Im Jahr 1698 leitete die Errichtung einer Zolleinnahmestelle an einem Platz der heutigen Kommune Mauth die Gründung von Siedlungen entlang des Goldenen Steiges ein. Fürstbischof Philipp von Lamberg wies den Ansiedlern Waldgrundstücke zur Rodung zu. Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts erhielten die Anwesen entlang des wichtigen Handelsweges, das sogenannte Großphilippsreut, ihre eigenen Ortsbezeichnungen wie Mauth, Vierhäuser, Zwölfhäuser oder Heinrichsbrunn und Finsterau.
Mauth war seit jeher das Zentrum dieser Holzhauersiedlungen. Mauth hatte die erste Kirche (1779), hier wurde das erste Schulhaus (1791) errichtet. Ende des 19. Jahrhunderts gab es zwei Forstämter in Mauth, das Forstamt Mauth-West und das Forstamt Mauth-Ost, nachdem 1891 der Sitz des Finsterauer Forstamtes nach Mauth verlegt wurde. Allein diese Tatsache zeigt schon von den schier unendlichen Waldbeständen in der Region.
Der Bergreichensteiner Ast des Goldenen Steiges
Frau Haydn, Sie wurden 1930 in der Mauth geboren. Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie sich an Ihre Kindheit zurückerinnern?
Da fällt mir der strenge Winter 1944 ein. Ich weiß das noch so genau, weil in diesem Jahr meine Schwester ihren Bräutigam vorstellte, den wir von Freyung vom Bahnhof abholten. Und ich, mit 14 Jahren, das erste Mal in meinem Leben ein Stück Schokolade gegessen hatte, das er als Geschenk mitbrachte.
Ihre Familie ist tief verwurzelt im Wald, in der Mauth.
Ja, mein Vater war Schaufelmacher. Er, die gesamte Familie lebte vom Holz. Seine Brüder halfen ihm dabei. Sie stellten Holzschaufeln aus einem Stück Buchenholz, den sogenannten Schaufelbuchen, her: Schnee-, Getreideschaufeln. Mein Vater belieferte viele Geschäfte im Umkreis, aber auch rauf bis nach München, nach Passau und Straubing. Oft haben ihn die Kunden, Müller beispielsweise, in Naturalien bezahlt.
Vater Johann, rechts, mit seinem Bruder Franz.
Wie bereits erwähnt wurde bereits im Herbst 1791 das erste Schulhaus in Mauth fertiggestellt. Die fortschreitenden Ansprüche und der schlechte bauliche Zustand ließen die Mauther knapp 100 Jahre später das zweite Schulhaus errichten. Es wurde 1888 eröffnet. Bis 1959 wurden die Kinder im Mauther Schulhaus in zwei Schulsälen unterrichtet
Schulsaal in Mauth 1934
Frau Haydn, Sie arbeiteten fast Ihr ganzes Leben im Forstamt in der Mauth. Wie kam es dazu, wie verlief Ihre Ausbildung?
Zunächst ging ich in die Volksschule in der Mauth. Dort wurden die Kinder in zwei Schulsälen unterrichtet: einer für die Jahrgangsstufen eins bis vier, einer für die Jahrgangsstufen fünf bis acht. 1944 musste ich als Kriegsaushilfsangestellte beim Forstamt Mauth zu arbeiten anfangen. Es hieß damals, man müsse sich nützlich machen. Nach Kriegsende wurde ich als Angestellte übernommen. Später bewarb ich mich für die Laufbahn als Beamtin im mittleren Dienst, ich wurde Forstamtssekretärin. Wir arbeiteten damals von Montag bis Samstag, das war ganz normal. Viel Freizeit gab es nicht. Die Männer gingen am Gesellschaftstag, das war der Donnerstag, von Wirtshaus zu Wirtshaus. Wir hatten aber auch schon ein Kino, gleich hier gegenüber dem ehemaligen Forstamt-West. 1958 wurde ich Beamtin auf Lebenszeit, Mitte der 1960er Jahre absolvierte ich die Prüfung zur Regierungsinspektorin. Und die letzten acht Jahre meiner beruflichen Tätigkeit verbrachte ich in München, von 1987 bis 1995. Im Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten – natürlich in der Abteilung Forsten.
Scheiterzoign, um 1960
Frau Haydn, das Forstamt war und ist ihre Heimat. Wie sind Ihre Erinnerungen an die Holzhauer?
Heute gibt es den Beruf ja so nicht mehr, es ist alles automatisiert. Es gibt die Vollerntemaschinen und den Rückezug, die Holzhauer, Axt, Motorsäge und Rückepferd abgelöst haben. Natürlich war das früher ein sehr harter und gefährlicher Beruf. Das war schwerste Handarbeit mit Axt, Holzzug und Schlitten. Aber trotzdem erzählen mir viele der alten Holzhauer, dass es beschaulicher war als es noch nicht so automatisiert war. Grundsätzlich mangelt es hier immer schon an Arbeitsplätzen. Und deshalb gab es hier in der Mauth bzw. der ganzen Region eine große Tradition der Auswanderung nach Amerika, die schon um die Jahrhundertwende einsetzte und sich nach dem ersten und zweiten Weltkrieg fortsetzte. Die Leute gingen aus wirtschaftlichen Gründen. Fast aus jeder Familie wanderte jemand aus. Ich selbst habe zwei Cousinen in Amerika. Und heute gehen die jungen Leute wieder weg, weil sie keine Arbeit finden. Sie haben hier keine Perspektive. Wir brauchen qualifizierte Arbeitsplätze, sonst stirbt unser Dorf irgendwann aus.
Vielen Dank für das Gespräch.