„Früh morgens, wenn die anderen erst langsam aufstehen, da habe ich schon etliches geschrieben“, erzählt der Autor und Heimatpfleger Karl-Heinz Reimeier. Fast scheint es, als ob das breit gefächerte Interessensgebiet des pensionierten Lehrers keinen geruhsamen Schlaf zulassen würde. Themen wie Heimat, Brauchtum, (Volks-)Musik oder die „Weihrazt-G'schichten“ aus der Umgebung beschäftigten ihn ebenso wie sein großes Interesse für Kunst und insbesondere sein eigenes lyrisches Schaffen. Ein humanistisch gebildeter Mann, der eng mit seiner Heimat verbunden ist.
Bereits seit 1986 ist Reimeier als Kreisheimatpfleger für den Altlandkreis Grafenau zuständig. Zwar wäre er als solcher auch für Fragen des Denkmalschutzes einzubeziehen, doch leider überwiegen – auch in der letzten Vergangenheit – oft wirtschaftliche Faktoren bei den endgültigen Bauentscheidungen. Auch das Bewahren von Traditionen kann nicht einer alleine, doch der passionierte Schreiber kann hinhören, zusammentragen und verbreiten. Und er hört ganz genau hin, was die Menschen in seiner Heimat sagen, singen und erzählen und sammelte sich so einen ungeheuren Schatz an Überlieferungen an, den er als Schriftzeugnisse für weitere Forschungen niederschreibt. Dabei versucht er, möglichst präzise zu sein und der Nachwelt einen wahrheitsgemäßen Einblick in den Alltag zu gewähren. „Wenn mir die Leute erzählen, dass etwas schon ewig her ist, dann kann das vielleicht auch erst vor 30 Jahren so gewesen sein“, klärt Reimeier auf. Schließlich ist auch die Tradition einem ständigen Wandel unterworfen. Beispielsweise wird zwar vielerorts noch immer pünktlich zum 1. Mai ein Maibaum aufgestellt, aber eben nicht mehr „händisch“, sondern mit Traktoren oder gar Kränen - Brauchtum?
Dieser Wandel zeigt sich fast überall, besonders eindrücklich aber in der Musik. Gerade in den 1970-er und 80-er Jahren wurden beispielsweise die Liedtexte von damals als unangemessen empfundenen Strophen befreit. Das übriggebliebene Gerüst dann von starr und stramm stehenden Männern auf der Bühne vorgetragen und, wie könnte es anders sein, von der jüngeren Generation bestenfalls ignoriert. Reimeier gehörte zu den ersten, die Lieder wie „Sepp, Depp, Hennadreck“ wieder mit den begeisterten Kindern in der Schule sang. So manche Rüge der Eltern musste er sich damals noch gefallen lassen, doch die Begeisterung für die altbayrischen Lieder wuchs, sein „Wetzstoa“ ist allseits bekannt und mit Volksmusikabenden kann man wieder eine Turnhalle mit 200 Leuten füllen. „Jetzt kann ich mich aus diesem Bereich wieder etwas zurückziehen, das hätten wir geschafft“, ist er mit einem Schmunzeln im Gesicht überzeugt.
Er selbst ist meist in Jeans zu sehen und hat früher damit regelmäßig für Verwunderung gesorgt: „Du bist doch der Heimatpfleger, warum hast denn keine Lederhose an?“, hieß es manchmal. Doch Reimeier ist kein sturer Konservierer, sondern versucht fast Vergessenes ins Hier und Jetzt zu bringen. So forschte er viel zu den hiesigen Trachten, die meist über ikonographische Überlieferungen zeitlich zuzuordnen sind. Nun kann man dies möglichst originalgetreu um der historischen Korrektheit Willen nachschneidern – oder eben den heutigen Gegebenheiten angepasst tatsächlich auch wieder tragen. Reimeier will jedenfalls der nachfolgenden Generation die Möglichkeit geben, das Leben ihrer Vorfahren nachvollziehen zu können.
Etliche Regalmeter in seinem Büro sind gefüllt mit dicken Ordnern zu allen erdenklichen Themen der näheren Umgebung; von vergessenen Handwerken, Bräuchen über die hiesige Volksmusik und sagenumwobenen Weihraz-Geschichten bis hin zur bildenden Kunst. Sein eigenes lyrisches Schaffen wirkt auf den ersten Blick als Gegenpol, doch vielleicht liegt darin vielmehr die Verarbeitung dieser Fülle in größtmöglicher Präzision? Wenn Reimeier über seine Gedichte spricht wird seine Stimme etwas ruhiger, mit Bedacht wählt er selbst im Gespräch darüber seine Worte. Oft ringt er lange um ein einzelnes Wort, das zu finden ihm harte Arbeit ist. Dafür liegt selbst am Nachttisch stets Bleistift und Papier parat, denn ist es einmal gefunden, soll es auch bleiben.