In Australien bietet die Schulform „School of the Air“ bereits seit 1951 Schülern aus dünn besiedelten Regionen die Möglichkeit, via Internet (bzw. ursprünglich über Kurzwellenfunk) per Fernunterricht beschult zu werden – eine in deutschen Augen doch recht exotische Unterrichtssituation. Hierzulande gibt es ein recht junges, erst 2002 gegründetes Pendant: Die Web-Individualschule in Bochum. Diese bietet Schülern, denen es aus diversen Gründen nicht möglich ist, den normalen Schulunterricht zu besuchen, eine Alternative zur Regelschule, die aber nicht staatlich anerkannt ist. Dass derartige Schulsituationen so plötzlich vom Exoten zum Mainstream-Modell werden, hätten sich wohl weder Eltern, Lehrer, noch Schüler träumen lassen. Die Corona-Krise zwingt derzeit alle Schüler Deutschlands, sich mit Online-Unterricht-Modellen anzufreunden.
Erste Erfahrungen hierzu schildern die Freyunger Gymnasiasten.
Sicht der Klasse 10a auf den Onlineunterricht
„Homeschooling“ ist der aktuelle Alltag eines Schülers in Freyung, ausgelöst durch das Coronavirus, welches eine allgemeine Schulschließung bewirkte. Seit nun mehr als einer Woche verwenden wir, die Schüler des Freyunger Gymnasiums, ein Online-Schulportal namens „Mebis“. Die Lehrer können uns über besagte Plattform Arbeitsaufträge und Hausaufgaben, je nach Stundenplan, zukommen lassen. Die Aufgaben müssen dann von uns Schülern bearbeitet und bis zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder abgegeben werden. Die geleistete Arbeit wird von unseren jeweiligen Lehrern kontrolliert und bewertet. Auf diese Weise können wir zuhause in unserem eigenen Tempo üben und uns neuen Lernstoff weitestgehend selbstständig erarbeiten.
Freilich bringt diese Art, zu lernen, auch Probleme mit sich: Ein in unseren Augen großer Nachteil im Vergleich zum normalen Unterricht ist, dass man nicht direkt während des Bearbeitens der Aufträge Fragen stellen kann, sondern zuerst wieder eine Nachricht oder E-Mail an den Lehrer senden muss und dementsprechend auf seine Rückmeldung zu warten hat. In manchen Fächern nutzen wir den Messengerd „Signal“, um unkompliziert Fragen stellen zu können, die von den Lehrern so auch zügiger beantwortet werden. Dies führt aber wiederum zu einem neuen Problem: Arbeiten verschiedene Fachlehrer mit unterschiedlichen Plattformen, fällt es uns Schülern schwerer, die Arbeitsaufträge zu sortieren und unser Lernen zu organisieren. Die meisten von uns arbeiten auch lieber ausschließlich am PC. Was aber vor allem fehlt, ist die Klasse an sich. Es fühlt sich oft so an, als bekäme man Einzelunterricht, was ein Vorteil, aber auch ein Nachteil sein kann. Freilich arbeitet man alleine konzentrierter, viel schöner ist es aber doch, in der Gemeinschaft zu lernen.
Unsere „Wahlplattform Mebis“ war am Anfang der ersten Woche leider ständig überlastet – eine Folge des großen Ansturms darauf. Dank einer Vergrößerung der Serverkapazitäten konnte dieses Problem aber behoben werden, was zeigt, dass trotz allem diese Krisensituation einen Vorteil hat: Alle Mitglieder des Bayerischen Schulsystems – vom Ministerium bis zum Schüler, sind nun gezwungen sich mit der Digitalisierung und den damit einhergehenden Problemen zu beschäftigen. Vielleicht können die Schulen infolgedessen endlich den Rückstand in diesem Bereich aufholen.
Wir, speziell als Klasse, finden den Online-Unterricht insgesamt gut. Die Lehrer sollten sich bei der Vergabe von Aufträgen aber nicht so sehr an dem regulären Stundenplan orientieren, sondern die Aufgaben auf jeden einzelnen Wochentag verteilen.
- Klasse 10a, Nico Eichinger (federführend)
Sicht eines angehenden Abiturienten auf den Onlineunterricht
Homeoffice für Schüler, kann das gut gehen?
Ich möchte behaupten, ja, das klappt. Natürlich darf man nicht verschweigen, dass wir mit dieser Situation gewissermaßen Neuland betreten und noch nicht alles optimal läuft. Natürlich muss man auch erwähnen, dass die Digitalisierung noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie wir es uns manchmal wünschen würden und dass „mebis“ (unser Lernportal) manchmal auch noch an seine Kapazitätsgrenzen kommt. Aber es muss v.a. eines erwähnt werden: Der Unterricht läuft weitestgehend seinen gewohnten Gang (ob das jetzt alle Schüler freut, darüber darf an anderer Stelle diskutiert werden), wenn nicht gerade sinnloserweise „mebis“ gehackt wird. Zu verdanken ist dies unseren engagierten LehrerInnen und an dieser Stelle darf ich, wohl auch stellvertretend für die meisten OberstufenschülerInnen, für diese eine Lanze brechen. Denn sie sitzen nicht, wie so oft in Kommentaren und Beiträgen in Sozialen Netzwerken beschrieben, faul zu Hause und genießen ihre Zwangsferien, sondern bemühen sich nach Kräften, uns Schülern, besonders uns Q12-lern, so viel Stoff wie möglich zu vermitteln, und dies nebenbei auf wirklich recht innovative Art: Da werden Erklärvideos erstellt, Arbeitsblätter zum Bearbeiten (wobei wir natürlich auch Ergebnisse liefern sollen) ebenso wie schon fertige Handouts getippt und es wird immer darauf geachtet, dass man das Ganze zuhause auch noch erlernen kann. Natürlich haben auch wir Schüler keine Schulferien, sondern müss(t)en uns den Stoff, den wir ansonsten in der Schule behandeln würden, im ,,Homeoffice“ aneignen. Bewusst schreibe ich hier den Konjunktiv dazu, denn Ablenkungen wie das Smartphone sind eben oft verlockender als die Integralrechnung in Mathe oder die Gedichtinterpretation in Deutsch und manchmal hat man auch einfach, wie im normalen Schulunterricht auch, wenig Lust und Muse, wirklich zu arbeiten. Wenn man es aber schafft, sich auf den Stoff zu konzentrieren und etwas zu tun, dann ist es mithilfe von mebis und Signal (Messengerdienst) meiner Meinung nach durchaus möglich und machbar, sich die gleiche Menge an Unterrichtsstoff wie in der Schule anzueignen. Und auch wenn wir Schüler i.d.R. gerne auf die Schule schimpfen, wie gut es doch ist, einem Lehrer einfach eine Frage stellen zu können und nicht erst eine E-Mail oder Signal-Nachricht schreiben zu müssen, merken wir erst jetzt. Nichtsdestotrotz, auch online beantworten uns unsere Lehrer Fragen, geben uns Tipps, gerade im Hinblick auf unser bevorstehendes Abitur, und versuchen uns darauf bestmöglich vorzubereiten. Insofern funktioniert Homeoffice, dank unserer engagierten Lehrer und wenn wir Schüler auch den nötigen Willen zeigen, durchaus.
- Maximilian Sammer, Q12
Tagebuch über die erste Woche der sogenannten „Corona-Ferien“
Ein sehr persönlicher Einblick in die Zwangspause vom (Schul-)alltag aus der Sicht eines Oberstufenschülers:
Wir leben in spannenden Zeiten. Alles um uns herum ist in einem steten Wandel und immer wieder gilt es, zusammen neue Herausforderungen zu meistern. Aktuell natürlich das Corona-Virus, das den Alltag überall in Deutschland auf den Kopf gestellt hat. In diesem nachfolgenden Tagebuch habe ich versucht aufzeigen, wie sich diese Situation aus den Augen eines Schülers anfühlt.
Montag, 16.03.2020:
Eigentlich sollte heute bayernweit der digitale Unterricht über das Lernportal „Mebis“ des bayerischen Kultusministeriums beginnen. Dank der Digitalisierung, die immer wieder Wahlkampfthema bei den verschiedensten Parteien war, für hitzige Diskussionen sorgte und fast immer nur gelobt wurde, sollte dies problemlos möglich sein – dachte man zumindest. Massive Serverüberlastungen gab es zwar schon am Freitag, als bekanntgegeben wurde, dass die Schulen bis nach Ostern geschlossen bleiben, doch das war zu erwarten. Immerhin wurde Mebis vor der „Corona-Krise“ nur vereinzelt von ein paar Lehrern genutzt.
Doch heute kam dann die große Überraschung. Mebis wurde gehackt und somit temporär lahmgelegt. Nur wenige schaffen es noch, sich anzumelden, viele kommen schlicht und ergreifend nicht mehr am Login vorbei. Ich finde es sehr traurig, zu sehen, dass Menschen scheinbar nicht mal in Krisen zusammenhalten können, wo es doch wichtiger denn je wäre, sich gegenseitig zu unterstützen.
Dienstag, 17.03.2020:
Neuer Tag neues Glück. Zwar kam ich erst abends gegen 19:00 Uhr endlich am gefürchteten Mebis-Login-Monster vorbei, doch wie heißt es so schön: „Besser spät als nie“. Ich entschied mich, zuerst sämtliche Kurse zu sichten und stellte schnell fest, dass diese Woche tatsächlich ein ganzer Haufen Arbeit auf mich warten wird. Da ich prinzipiell nicht unbedingt der organisierteste Mensch auf unserer schönen Erde bin, war mir sofort klar, dass ein Arbeitsplan her musste.
Ich holte mir also Stift, Papier und Lineal und legte direkt damit los, verschiedene Aufgaben und Abgabefristen in meine von Hand gezeichnete Tabelle einzutragen. Dieser gab ich übrigens den passenden Namen „Der super-duper Corona-Stundenplan“, was in meiner Familie noch für ein oder zwei Lacher sorgte. Ich druckte mir abschließend ein paar Arbeitsblätter aus und ging nochmals alle Kurse durch, um auch ja nichts zu vergessen. Als ich mit dem Planen um etwa 21:00 Uhr fertig war, beschloss ich, heute nichts mehr davon zu machen. Warum? Nun ...
Mein Körper hat unweigerlich in eine Art „Ferienmodus“ geschaltet. Mein Herz sagt: „Du hast fünf Wochen frei. PARTY-TIME!“, während in meinem Kopf „Celebrate Good Times“ von Kool & The Gang läuft. Mein Verstand sagt mir, dass es aber keine Ferien sind, sondern eine Vorsichtsmaßnahme für unser aller Sicherheit und dass Noten auf dem Spiel stehen. Immerhin ist auch der Stoff, den wir digital beigebracht bekommen, relevant für spätere Tests und letztlich das Abitur. Nach ein paar Minuten Hadern komme ich zu dem Entschluss, dass ich heute ein letztes Mal „Ferien“ haben möchte, bevor ich mich morgen in die Arbeitsoffensive stürze.
Mittwoch, 18.03.2020:
Meine Entscheidung war ein Fehler. Ein sehr großer Fehler sogar. Heute traf mich nämlich die Arbeit wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht, als ich gemerkt habe, dass der „Haufen Arbeit“ weitaus größer war, als ich dachte. Dass ich durch die Mebisausfälle am Montag und Dienstag nämlich auch Stoff verpasst habe, wurde mir erst heute bewusst. Diesen musste und muss ich nun natürlich nachholen und das hat mir teilweise alle vorhandenen Nerven geraubt. Genau diese Nerven sind in den letzten Tagen aber ohnehin einer kleinen Zerreißprobe ausgesetzt gewesen, da die ganzen Entwicklungen bezüglich des Corona-Virus natürlich nicht spurlos an mir vorbeigehen.
Heute merkte ich auch, dass Online-Unterricht einfach kein richtiger Ersatz für echten Unterricht von Mensch zu Mensch ist. Viele aus meinem Kurs – ich inklusive – hatten große Probleme beim Verstehen der Spanisch-Grammatik und entsprechend mühsam war das Bearbeiten der beiliegenden Aufgaben. Es gibt Fächer wie Geschichte oder Sozialkunde, in denen mich das selbstständige Arbeiten überhaupt nicht stört – und dann gibt es Mathe. Ich bin mittlerweile drei Stunden im Rückstand und habe keine Ahnung, wie ich die Aufgaben machen soll. Zwar haben wir eine Lösung bekommen, doch wir sollten die Aufgaben eigentlich selbst durchrechnen und dann unsere Ergebnisse über Mebis abgeben. Das Problem hierbei? Mathe ist mein schwächstes Fach und ich empfinde, um ehrlich zu sein, ein wenig Schamgefühl bei dem Gedanken, eine Lösung abzugeben, bei der wahrscheinlich schon der erste Schritt falsch ist.
Selbstverständlich könnte ich mir die Lösung einfach von jemandem zuschicken lassen, der mit Mathe keine Schwierigkeiten hat, oder die offizielle Lösung abschreiben, aber das wäre auch sinnlos, da ich mich dann nicht mit Mathe beschäftigen würde. Ich hatte auch vor, diese Aufgaben mit in meine wöchentliche Mathenachhilfe zu bringen, doch die wurde kurzfristig wegen des Corona-Virus abgesagt, so dass ich jetzt alleine im Regen stehen bleibe.
Ansonsten habe ich auch heute die warmen Temperaturen genossen und war für einige Zeit draußen. Ich hoffe bloß, dass nicht bald eine Ausgangssperre verhängt wird. Und jetzt muss ich leider noch Stoff nachholen, was alles andere als spaßig ist. Ich säße gerade viel lieber in meinem Tschechischkurs, aber der fällt natürlich Corona bedingt auch aus.
Donnerstag, 19.03.2020:
Ich denke nicht mehr in Wochen, sondern nur noch in Tagen oder gar Stunden. Was wird morgen kommen? Wie geht es heute Abend weiter? Was mache ich hier überhaupt? All das sind Fragen, die mir immer wieder durch den Kopf gehen, jedoch versuche ich nicht, sie zu beantworten, sondern ich verdränge sie lieber. Außerdem kann ich mich unfassbar schlecht auf den Unterrichtsstoff konzentrieren und die Arbeit wächst mir über den Kopf, so dass ich kaum noch vorankomme. Ich bin irgendwie antriebslos, verzweifelt, wenn man es so möchte.
Wenigstens eine gute Nachricht: Die Matheaufgaben kann ich doch mit zur Nachhilfe bringen, da diese für Einzelschüler weiterhin geöffnet hat. Fragt sich natürlich, wie lange noch. Ansonsten gibt es zumindest heute nicht sonderlich viel zu erzählen, also mal sehen, wie es morgen weitergeht.
Freitag, 20.03.2020:
Schon gestern redeten alle über die Ausgangssperre, und dass sie sicher bald käme, wenn es so weiterginge wie bisher - und tatsächlich war es heute dann so weit. Ich saß um 12:00 Uhr vor meinen Spanischübungen, als plötzlich mein Vater zu mir kam und meinte: „In einer halben Stunde hält Markus Söder eine Ansprache“. In diesem Moment war mir sofort klar, was das Thema seiner Rede sein würde. So sehr ich auch hoffte, dass es nicht so weit kommt, war mir klar, dass heute eine Ausgangsbeschränkung verkündet werden würde, und dieser Verdacht bestätigte sich dann natürlich auch.
Ich möchte an dieser Stelle an alle appellieren, die das hier lesen. Und ich werde dich von nun an ganz bewusst duzen und direkt ansprechen, lieber Leser. Auch wenn du es in den letzten Tagen sicher zuhauf in den Medien gehört hast, ist es jetzt unverzichtbar wichtig, zusammenzuhalten und Solidarität zu zeigen. Das ist nicht bloß „leeres Gerede“ der Politik, sondern eine Überlebensstrategie. Wir müssen anfangen, uns gegenseitig zu helfen, uns ernst zu nehmen mit all unseren Ängsten, Problemen und Sorgen und Verständnis zeigen. Die Menschheit musste im Laufe ihrer Geschichte schon viele Krisen überstehen und ich bin davon überzeugt, dass wir auch die aktuelle überstehen werden, wenn wir uns alle um ein positives Miteinander kümmern und aufeinander Acht geben.
Solidarität bedeutet für mich, auch Fehler zu verzeihen. Natürlich ist es schlimm, wenn viele Menschen die letzten Tage mit einer „Mir-doch-egal“-Mentalität gelebt haben und etwa ganz bewusst auf „Corona-Partys“ gegangen sind, aber deshalb sollten wir jetzt nicht mehr mit dem Finger auf sie zeigen und sie für alles verantwortlich machen, sondern mit ihnen ernsthafte Gespräche führen und sie zum aktiven und passiven Helfen in dieser Krise anhalten. Die Vergangenheit lässt sich ohnehin nicht mehr ändern, so dass es mir auch sinnlos erscheint, nach einem Schuldigen für diese Seuche zu suchen. Haben manche Regierungen versagt? Ja. Haben viele den Ernst der Lage – wie ich anfangs übrigens auch - unterschätzt? Ja, aber genau deshalb ist es jetzt wichtig, einander zu vertrauen und als Gesellschaft zusammenzuhalten. Um etwas zu ändern, ist es selten zu früh und nie zu spät. Bleib gesund und so viel daheim, wie du nur kannst, denn damit ist allen geholfen, vor allem denjenigen, die es jetzt am dringendsten brauchen.
Ich hoffe, ich konnte mit meinem Tagebuch ein paar interessante Einblicke in meinen (Lern)-Alltag während des Corona-Virus geben und werde vermutlich am Montag von vorne beginnen und auch kommende Woche wieder meine Gedanken aufschreiben.
- Florian Fink, Q11