Auch wenn es manch einer nicht mehr hören kann, taucht der Begriff „Brexit“ auch heute noch fast täglich in den Nachrichten auf. Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ist ein umstrittenes politisches Projekt, dessen Umsetzung für zahlreiche Spaltungen innerhalb verschiedenster Parteien und Nationen sorgt. Im Rahmen der Ringvorlesung "30 Jahre Kulturwirtschaft an der Universität Passau - Bestandsaufnahme und Perspektiven“ wurde auf diese Thematik näher eingegangen.
Der Brexit zieht sich schon seit dem EU-Mitgliedschaftsreferendum im Juni des Jahres 2016. Bei einer Wahlbeteiligung von 72,2 Prozent, wobei 51,9 Prozent für den Austritt und 48,1 Prozent für einen Verbleib gestimmt haben, standen unter dem Strich getrennte Wege zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich fest. Kurz darauf trat David Cameron, Befürworter des Verbleibs und früherer Premierminister, zurück und Theresa May wurde Premierministerin.
Die EU stimmte im weiteren Verlauf immer wieder Aufschüben zu, während im House of Commons, dem britischen Unterhaus des Parlaments, zunehmend Uneinigkeit herrscht. Warum die Briten für einen Austritt stimmten, kann man nur erahnen. Umfragen zufolge sollen als Hauptgründe für die Wahlergebnisse der Bevölkerung unter anderem die Angst vor zunehmender Immigration und Terrorismus zählen, größter Grund gegen den Austritt zu stimmen war wiederum die Angst vor einem Einbruch des Handels, wodurch viele Jobs verloren gehen.
Prof. Dr. Bernhard Stahl, Inhaber der Lehrprofessur für Internationale Politik an der Universität Passau, hielt im Zuge der Ringvorlesung "30 Jahre Kulturwirtschaft an der Universität Passau - Bestandsaufnahme und Perspektiven“ am 17.12 einen interessanten Vortrag zu Großbritannien als „awkward partner“. Diesen Namen bekamen sie, weil das Land bereits in der Vergangenheit stets als Bremser einer Vertiefung der Integration auftrat. So sind sie zum Beispiel dem Schengen Abkommen nicht beigetreten und wollten viele Wege der EU nicht mitgehen, weswegen die Grundbeziehung zur Europäischen Union sich schon in der Vergangenheit schwierig gestaltete.
Nach Prof. Dr. Bernhard Stahl war schon der Beitritt des Vereinigten Königreichs damals nicht idealistisch, also durch lange Verhandlungen und die Übernahme vom EU-Kontext, geprägt, sondern gestaltete sich als strategischer Beitritt, welcher als wirtschaftliche Notwendigkeit angesehen wurde.Vortrag von Prof. Dr. Bernhard Stahl an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät
Als Grundmodell erklärt der Forscher die diskursgebundene Identitätstheorie. Wir Deutschen haben demnach eine andere Identität und andere außenpolitische Möglichkeiten, weshalb er einen Austritt Deutschlands aus der EU vorerst für ausgeschlossen hält. Die Briten hingegen haben eine andere Identität, die den Austritt ermöglicht und die geografische sowie politische Sonderstellung untermauert. Vergangene Diskurse verbinden dabei die Identität und das nach außen sichtbare Verhalten.
Weiter bezeichnet Prof. Dr. Bernhard Stahl den Brexit in seinem Fazit als „nachholenden Wandel“, weil die Regierung nun den identitären Wandel Großbritanniens exekutieren muss. Dieser hat sich historisch viel früher abgezeichnet und wurde durch das wirtschaftliche Scheitern der Insel in den 1990ern vorbereitet. Vor diesem Hintergrund war das Referendum zum Scheitern verurteilt, zumal keine guten identitären oder argumentativen Ressourcen für den Verbleib zur Verfügung standen. Lediglich zählte die schlechte ökonomische Auswirkung als Argument für einen Verbleib.
Als Aussicht für die Zukunft sagt der Professor eine Transformation des Identitätsproblems voraus. Es werden sich nicht nur zwischen der EU und Großbritannien weitere Probleme herauskristallisieren, sondern auch innerhalb der Labour Party, innerhalb des vereinigten Königreichs aufgrund der schottischen und nordirischen Frage sowie zwischen Großbritannien und der Welt, da der Brexit auch die Beziehungen zu USA, Russland, China, Commonwealth, NATO, UN und weiteren Instanzen verändern wird.
Anknüpfend an diese Zukunftsaussicht beendete Prof. Dr. Bernhard Stahl seinen Vortrag mit den Worten: „By leaving, the identity troubles will remain“.