Mit leisen, vorsichtigen Schritten bewegen sich etwa 25 Leute weit verstreut durch das hohe Gras und lassen konzentriert ihre Blicke über den Boden schweifen. Frühlingsduft liegt im sanften Wind unter dem leicht bewölkten Himmel. Währenddessen mäandert im Hintergrund der renaturierte Kolbersbach in seiner ursprünglichen, wilden Form rauschend durch die idyllische Landschaft. In dieser Fülle an Sinneseindrücken sucht die Gruppe heute nach einem Lebewesen, das hier noch zahlreich vertreten, aber umso schwerer zu entdecken ist: Vipera berus, die Kreuzotter.
Das Verbreitungsgebiet der Schlange erstreckt sich von Westeuropa bis zum östlichsten Russland. Trotzdem wird ihr Anblick besonders in Bayern immer seltener. Dabei bildet das Gebiet des Nationalparks Bayerischer Wald eines der letzten größeren Refugien für die Kreuzotter. Um die Population dieses Reptils besser einschätzen und auch schützen zu können, müssen Forscher ganz genau wissen, wie und wo die Tiere leben. Aus diesem Grund haben sich Nationalparkmitarbeiter und Freiwillige im Rahmen eines Workshops in Sachen Kreuzotter-Monitoring weitergebildet.
„Die Konzentration lässt irgendwann nach. Da ist es besser, eine Pause zu machen.“, erklärt Johannes Penner von der Universität Freiburg in Hinblick auf die Suchaktion. In seinem Vortrag einige Stunden zuvor erklärte er den rund 25 Teilnehmern des Kreuzotterseminars im Kinosaal des Haus zur Wildnis, wie wichtig der Erhalt von geeigneten Lebensräumen für den Bestand der Kreuzotter ist. „Die Kreuzotter ist in der Gesellschaft einfach nicht so präsent, obwohl sie ebenso bedroht ist, wie viele andere Tierarten“.
Dabei bestehen in der Bevölkerung immer noch viele Unsicherheiten und Vorurteile bezüglich dieser Schlangenart. In der Vergangenheit wurden Kreuzottern in ganz Bayern gezielt getötet und man betrachtete sie als Schädling, dessen Biss sofort tödlich sei. Wie hartnäckig sich die unbegründeten Ängste in der regionalen Bevölkerung halten, erzählt ein Teilnehmer, der sich schon viele Jahre für den Schutz der bedrohten Tiere einsetzt: „Da hörst du heute noch Geschichten von aggressiven Schlangen, die dich anspringen oder von riesigen Kreuzottern mit 1,50 Metern Länge. Aber sowas gibt es nicht, sage ich dann den Leuten immer. Das sind Schauermärchen.“
Bei einem gemeinsamen Workshop holten sich Nationalparkmitarbeiter und Freiwillige wertvolles Wissen zum Thema Kreuzotter-Monitoring.
Entgegen immer noch existierender Gerüchte, stellt der Biss einer Kreuzotter für einen erwachsenen, gesunden Menschen keine Bedrohung dar. Sollte es dennoch zu einem Biss kommen, raten Experten dazu, ruhig zu bleiben, sich Hilfe zu holen und den Kreislauf nicht zu belasten. „Man sollte sich auf jeden Fall sofort in ärztliche Behandlung und für 24 Stunden unter Beobachtung begeben“, rät Johannes Penner, „da man eine allergische Reaktion auf das Gift nie ganz ausschließen kann“. Für Kinder und alte Menschen kann jedoch durchaus Lebensgefahr bestehen. Aus diesem Grund ist das Wissen um diese Reptilien, sowie der richtige und respektvolle Umgang damit unerlässlich. Nur so lassen sich gefährliche Situationen vermeiden.
Dass es in der Realität jedoch sehr viel Glück und Geduld braucht, um einer Kreuzotter überhaupt in die Nähe zu kommen, erfahren die Teilnehmer in der anschließenden Begehung des renaturierten Kolbersbachs. Aggressive, lauernde Schlangen? Keine Spur. Die extrem scheuen Reptilien ergreifen meist sofort die Flucht, bevor man sie überhaupt zu Gesicht bekommt. So braucht man viel Glück, wenn man eine Kreuzotter in der freien Wildbahn beobachten will. „Vormittags ist die beste Zeit, wenn man die Schlangen sehen möchte.“, sagt Paul Hien, der als Straubinger Tierfilmer und Schlangenexperte mit seiner Reportage „Achtung Kreuzottern!“ im Bayerischen Rundfunk bereits überregional bekannt geworden ist.
Ganz zum Schluss der kleinen Exkursion findet sich dann doch noch ein junges Exemplar mit einer außergewöhnlichen, dunklen Färbung. Völlig Stille herrscht in der Gruppe, die sich in einigem Abstand um die Schlange auf dem alten Totholzstamm versammelt hat. Die Distanz dient weniger dem Schutz der Menschen, als der Vermeidung von Stress für die Kreuzotter. Denn der Nationalpark Bayerischer Wald ist einer der letzten Rückzugsorte für diese Tierart, deren Lebensraum durch intensive Landnutzung und menschliche Eingriffe immer weiter schrumpft.