Der Landkreis Freyung-Grafenau hat Anfang November mit seinen zuständigen Fachstellen des Jugendamtes in Kooperation mit der Kreiscaritas eine Informationsveranstaltung „Prävention gegen Radikalisierung“ im Kursaal in Freyung angeboten. Die Veranstaltung wurde von der stellvertretenden Geschäftsführerin des Kreis-Caritas-Verbandes Frau Alexandra Aulinger-Lorenz sowie von der Kreisjugendpflegerin des Landratsamtes Freyung-Grafenau, Frau Martina Kirchpfennig organisiert und durchgeführt.
Vor dem Hintergrund stetig wachsender gesellschaftlicher Herausforderungen im Bereich Flucht und Asyl, aber auch in Fragen der Demokratieförderung sind immer mehr Menschen, die im Kontakt zu Jugendlichen stehen, direkt oder indirekt mit Fragen und Sorgen zu Gefahren der Radikalisierung und Entwicklung von Extremismus konfrontiert.
Die Zuwanderung, aber auch Veränderungen des Arbeitsmarktes, demografische Veränderungen und Diskurse zu Werten und Normen beschäftigen Fachkräfte genauso wie Ehrenamtliche und freiwillige Helfer. Sie alle möchten dazu beitragen, dass Kinder, Jugendliche und Familien bestmögliche Voraussetzungen zum Aufwachsen finden.
Jedoch ist es im Alltag nicht immer leicht, jungen Mensch Orientierung und Sicherheit zu bieten, oder als Erwachsener seinen eigenen Lebenslauf befriedigend zu gestalten. Die globalisierte Welt bietet vermeintlich alle Chancen und doch haben nicht alle Menschen die gleichen Möglichkeiten und Ressourcen. Frustrationen und Ängste auf beiden Seiten können die Folge sein. Gefühle und Lebenslagen, die zu Tendenzen von Radikalisierung führen können.
Tilmann Weinig, bei seinem eindrucksvollen Vortrag über Radikalisierung.
Im Rahmen einer breit angelegten Informationsveranstaltung sind die Fachkräfte des Jugendamtes und der Caritas diesen Themen auf den Grund gegangen. Was kann jeder einzelne tun, um der Entstehung von Radikalisierung entgegen zu wirken oder was kann man tun, wenn bereits Hinweise auf eine radikale Haltung bestehen? Wer sind mögliche Ansprechpartner, welche Fachstellen gibt es?
Zum Auftakt der Tagung im Kursaal wurden am Beispiel der religiösen Radikalisierung die Mechanismen der Entstehung einer radikalen oder extremistischen Haltung aufgezeigt. Nach Grußworten von Frau Alexandra Aulinger-Lorenz und Frau Martina Kirchpfenning gab es viel Raum für die beiden Fachvorträge und anschließende Fragen. Rund 60 Zuhörer aus Ehrenamtlichen Helferkreisen für Geflüchtete, Fachkräfte und Funktionsträger aus Jugendarbeit, Schulen und sozialen Einrichtungen, folgten den Ausführungen der Referenten.
Tilmann Weinig, Mitarbeiter der Beratungsstelle Deradikalisierung „Insideout“ in Stuttgart, zeigte eindrucksvoll auf, wie Radikalisierung entsteht. Dabei spielen Faktoren wie Frust durch Ablehnung, Krisen, mangelnde Bildung- und Ausbildung, familiäre Beziehungsprobleme, aber auch das generelle jugendliche Streben nach Anerkennung, Abenteuer, Mythen und Heldentum eine Rolle. Extremistische Gruppierungen liefern einfache Antworten auf Sinnfragen, geben durch vermeintlich sinnstiftende Tätigkeiten Halt und Orientierung oder verbreiten Mythen von großen Kämpfern. Im Zusammenspiel sehr vielschichtiger Wirkfaktoren können sich extremistische Haltungen und Aktivitäten entwickeln.
Ein weiterer Referent, Michael Geisreiter, Vertreter des Kompetenzzentrums „Deradikalisierung“ des Landeskriminalamtes (LKA) gab in seinem Vortrag ebenfalls Einblicke in die Entstehung von islamistischer Radikalisierung und zeigte dann auf, welche Schritte unternommen werden müssen, wenn bereits eine sichtbare Radikalisierung mit Eigen- oder Fremdgefährdung besteht. Besonders betont wurde die Wichtigkeit von persönlichen Beziehungen in der Arbeit der Deradikalisierung und die Notwendigkeit durch Gespräche und Vertrauen Zu-gang zur Sichtweise von radikalisierten jungen Menschen zu haben. Michael Geisreiter berichtet aus der Praxis und schilderte das Vorgehen in konkreten Situationen. Bei Verdacht auf Radikalisierung werde die Beratungsstelle des LKA mit Mitarbeitern vor Ort tätig und aktiviert dort das Hilfe- und Einflusssystem. Bei festgestellten Gefahrenlagen wird auch die örtliche Polizei eingeschaltet. Dies kann auch im Vorfeld eine Möglichkeit sein, eine Einschät-zung zur Ausprägung von Radikalisierung in Gang zu setzen.
In der anschließenden Fragerunde wurde deutlich, dass in der Alltagserfahrung der Zuhörer weniger konkret die eigentliche Radikalisierung eine Rolle spielt, als vielmehr mannigfaltige Fragestellungen zu Stressfaktoren bei jungen Menschen, die die Gefahr von Radikalisierung bergen.
Die Organisatoren und Beteiligten der Informationsveranstaltung (v.l.n.r) Maria Weilermann (Assistentin der Geschäftsführung Kreiscaritas), Alexandra Aulinger-Lorenz, Helga Weinberger (stellvertretende Landrätin), Michael Geisreiter, Irene Hilz (stellvertr. Kreiscaritasvorsitzende), Martina Kirchpfenning, Tilmann Weinig und Josef Bauer (Kreiscaritasgeschäftsführer)
Das Interesse der Teilnehmenden erstreckte sich von Anregungen zu mehr Demokratiebildung und Förderung des gegenseitigen Verständnisses in Gemeinden, bis hin zu prakti-schen Fragen nach Bildungsmöglichkeiten zu interkultureller Kompetenz und zum interreligiösen Dialog. Einig waren sich alle darüber, dass es wichtig ist im Dialog zu bleiben, offen zu sein und sich gegenseitig zu unterstützen, um die gesellschaftlichen Veränderungen für alle positiv und friedlich zu gestalten.
Zum Abschluss der Veranstaltung hatten die Gäste die Möglichkeit im Rahmen eines Fragebogens an die Veranstalter Rückmeldung zu geben zu weiteren Themen und Qualifizierungswünschen.
Ansprechpartner bei Fragen zu den Themen Demokratieförderung, Radikalisierung, Salafismus, Rechtradikalismus ist im Kreisjugendamt Herr Thomas Seidl, Tel. 08551/57-168. Er gibt Auskünfte bei konkreten Gefährdungslagen.
Im Bereich der kommunalen Jugendarbeit gibt Frau Martina Kirchpfenning unter Tel: 08551/57-269 Auskünfte bei Fragen zu Prävention oder Anforderung von Informationsmaterial.