Paul-Friedl-Geburtshaus soll als grenzüberschreitendes Literaturhaus neue Impulse setzen
Die Schaffung eines neuen kulturellen Zentrums, das sowohl für die lokale Bevölkerung als auch für überregionale Literaturschaffende ein wichtiger Treffpunkt werden könnte, stand im Fokus einer Podiumsdiskussion in der Außergefilder Stube des Freilichtmuseums Finsterau, zu welcher der Verein „Literaturhaus DichterWald e.V.“ geladen hatte. Das nach seiner erfolgreichen Translozierung kurz vor der Eröffnung stehende Geburtshaus des Schriftstellers und Volkskundlers Paul Friedl soll zukünftig auch als grenzüberschreitendes Literaturhaus genutzt werden.
Moderiert von der Journalistin und Buchautorin Alexandra von Poschinger diskutierten Kreisheimatpfleger Karl-Heinz Reimeier, Bezirksheimatpfleger Dr. Clemens Knobling und der Literaturwissenschaftler Dr. Heribert Tommek die Möglichkeiten und Herausforderungen des Vorhabens sowie die Rolle der Literatur in peripheren Regionen. Der Autor und Lyriker Karl-Heinz Reimeier fungiert auch als Vorsitzender des „Literaturhaus DichterWald e.V.“. Der am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft der Universität Regensburg tätige Dr. Heribert Tommek betreut das Literaturarchiv und Literaturhaus Sulzbach-Rosenberg.
Das etwa 300 Jahre alte Geburtshaus des berühmten Schriftstellers und Volkskundlers war in Pronfelden ab- und im Freilichtmuseum Finsterau in originaler Form wieder aufgebaut worden. Über dessen künftige Nutzung als Literaturhaus diskutierten (v. li. n. re.) Dr. Heribert Tommek, Karl-Heinz Reimeier, Dr. Clemens Knobling, Alexandra von Poschinger und Heiner Kilger.
Dr. Heribert Tommek gab einen umfassenden Einblick in die Aufgaben von Literaturhäusern. Dabei betonte er, dass deren Anspruch nicht nur in der bloßen Vermittlung von Literatur liegen könne. Ein Literaturhaus sollte insbesondere auch Räume für den Austausch und die Auseinandersetzung mit literarischen Strömungen schaffen. Ziel sei es, eine literarische Gemeinschaft zu fördern, die über klassische Lesungen hinausgehe. „Dabei ist es wichtig, ein Profil zu entwickeln, das gezielt auf bestimmte Zielgruppen eingeht“, wie Dr. Tommek ausführte. Hierbei betonte er die Notwendigkeit, generationsübergreifende Formate zu schaffen, um die breite Begeisterung für Literatur langfristig zu sichern.
Karl-Heinz Reimeier gab als Vorsitzender des „Literaturhaus DichterWald e.V.“ Einblick in die Planungen zur praktischen Umsetzung eines Literaturhauses in Finsterau. Das Paul-Friedl-Haus solle dabei zu einem grenzübergreifenden Zentrum und Archiv der Literatur des Bayer- und Böhmerwaldes ausgebaut werden. „Wir möchten Menschen über die Grenzen hinweg literarisch zusammenbringen und Räume für Lesungen, Workshops und Arbeitskreise schaffen“, erklärte Reimeier und betonte die Chance, in der Grenzregion einen einzigartigen literarischen Raum zu schaffen, der nicht nur die lokale Bevölkerung ansprechen, sondern auch überregionale Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte.
Bezirksheimatpfleger Dr. Clemens Knobling hob die Bedeutung der Literatur für die regionale Heimatpflege hervor. „Literatur ist ein klassisches Feld der Heimatpflege“, betonte er und erläuterte, dass der Bezirk Niederbayern durch Formate wie Wirtshaus-Lesungen bereits aktiv zur Förderung der Literatur beitrage. Auch Buchproduktionen, die sich mit der Region auseinandersetzen, würden unterstützt.
Ein weiteres zentrales Thema der Diskussion war die Frage, wie sich Literatur in der medialen Vielfalt der Gegenwart behaupten kann. Dr. Tommek warnte davor, dass Literatur oft zu Unrecht als „altmodisches Medium“ wahrgenommen werde. Dennoch könne man gegensteuern: „Literatur muss sich als Kunst des Erzählens präsentieren und dabei auch neue Medien wie Hörspiele und Radio einbeziehen, um den Zugang zu verjüngen.“ Reimeier ergänzte, dass insbesondere in den Schulen ein Wandel stattgefunden habe: „Während in den 70er- und 80er-Jahren noch längere Texte im Unterricht besprochen wurden, wird heute verstärkt auf kürzere, leicht zu erfassende Texte gesetzt.“ Dies sei als Ausdruck eines abnehmenden Sprach- und Textverständnisses eine überaus problematische Entwicklung.
Besondere Aufmerksamkeit widmete die Diskussion der Lyrik und der Rolle des Dialekts in der heutigen Literatur. Reimeier berichtete, dass Kinder und Jugendliche oft einen intuitiven Zugang zur Lyrik hätten, da sie eine direkte Ausdrucksform für Gefühle und Gedanken biete. In Bezug auf den Dialekt erklärte Dr. Tommek, dass dieser eine identitätsstiftende Funktion habe und als „Volkssprache“ oft einen Kontrast zur als bevormundend verstandenen „Zentralsprache“ der Behörden und Institutionen bilde. Beide Formen seien jedoch gleichwertig und sollten – auch in Lyrik und Literatur – gepflegt werden, wobei der Dialekt zudem in seiner Wandelbarkeit als lebendige Sprache erhalten bleiben müsse.
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren sich einig, dass Literatur auch in peripheren Regionen wie Finsterau eine zentrale Rolle im kulturellen Leben einnehmen und überregionale Anziehungskraft entfalten kann. Ein Literaturhaus in der Grenzregion zwischen Bayern und Böhmen könnte zudem neue Impulse für die literarische Landschaft setzen und einen einzigartigen Ort des grenzübergreifenden Austauschs schaffen. Dem „Literaturhaus DichterWald e.V.“ kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu, um das literarische Erbe im Paul-Friedl-Haus zu bewahren und weiterzuentwickeln.
„Mit dieser fachlichen Diskussion wurde ein erster Schritt in Richtung der Etablierung eines neuen kulturellen Zentrums in der Region gemacht“, zeigt sich auch der amtierende Mauther Bürgermeister Heiner Kilger zuversichtlich. Er betont, dass sich ein Literaturhaus im Paul-Friedl-Haus als Treffpunkt für Literaturschaffende und Literaturbegeisterte aus Nah und Fern etablieren und zu einem wichtigen kulturellen Angebot in der Region entwickeln könne. Die Eröffnung des Paul-Friedl-Hauses findet am 03. Oktober 2024 statt.