Jäger, Bauer, Rehkitzretter: Es darf kein Widerspruch sein
Josef Simmet ist ein zupackender Charakter. Im Hauptberuf als Besamungstechniker, nebenberuflich Landwirt, begeistert für die Jagd geht er im Revier mit. Da darf man nicht immer zart besaitet sein. Aber sein Herz schlägt auch für kleine Rehkitze. Momentan startet deswegen praktisch täglich eine Suchdrohne.
Das Naturschutzgesetz verlangt es eigentlich ohnehin, dass sich Bauern vor dem Mäher vergewissern müssten, dass keine kurz zuvor geborenen Rehkitze in der Wiese liegen, die von Mähwerken unnachgiebig gehäckselt würden. Aber zu oft kommt es dennoch vor. Früher wurden am Tag zuvor Fremdkörper wie aufgehängte Planen in die Wiese gesteckt, damit die Muttertiere ihr Kitze aus einem Schutzreflex in ein anderes Versteck brachten. Mittlerweile schieben moderne Mähwerke einen schrillen Warnton vor sich her, damit die Tiere selbst flüchten. Aber was die Natur als Mechanismus eingeführt hat, das gefährdet dennoch Kitze in den ersten zwei bis drei Wochen nach der Geburt. Für sie war es sicherer, sich vor Beutegreifern eher zu verstecken als wegzurennen. Also ducken sie sich.
Also was tun? Es akzeptieren? Jonas Fürst, Jagdpächter im Revier Kirchberg, wollte das nicht und begeisterte auch Josef Simmet dafür, etwas zu tun. Von Rettung per Drohnensuche hatten sie schon gehört. Aber einfach starten, schauen und Tiere wegtragen, so einfach ist es dann auch nicht.
Ein Bild mit Kitz und Drohne; und mit den menschlichen Rettern Alois Kern (v.r.), Jagdvorstand Josef Simmet mit Sohn Sebastian, Lukas Spindler, Jagdpächter Jonas Fürst, Albert Ebner, Cornelia Simmet und Hans Loibl. Oft heißt es für sie am frühen Morgen schon: Angetreten zum Retten!
Im Vorjahr ging es los. So eine Drohne muss stark genug sein, um eine Wärmebildkamera zu tragen. Bis zu fünf Akkupacks sind immer dabei, um zwei, drei oder vier Stunden lang über Wiesen zu kreuzen, bei hellen (warmen) Flecken sich zu nähern, ob es nicht doch nur ein sonnenbestrahlter Maulwurfhügel ist, und dann zu reagieren. Um das Gerät nutzen zu können, muss ein Flugschein gemacht werden. Es selbst ist auch nicht gerade billig. Trotz 50 und aktuell sogar mehr Prozent an Förderung bleiben etwa 4000 Euro selbst zu tragen. Die steuerte Jagdpächter Jonas Fürst aus eigener Tasche bei. Das Weitere ist dann Ehrenamt. Bezahlt werden die Rehkitzretter mit einem Dankeschön. Aber das ist es auch Josef Simmet wert. Dafür wurde ein Verein mit kompliziertem Namen für die Wildtierrettung, kurz und prägnant „Rehkitzrettung Kirchberg“, gegründet, um die Last auf mehr Schultern zu verteilen. Freunde, Bekannte, Familie sind auch an Bord, wenn es zur Rettungsaktion rausgeht.
Julia Fürst nimmt vorsichtig mit Handschuhen und einem Grasbüschel als zusätzlichem „Witterungsneutralisierer“ ein Rehkitz auf und deponiert es außerhalb des Gefahrenbereichs.
Für Josef Simmet, Jonas Fürst und ihre Mitstreiter heißt das von Mitte Mai bis Ende Juni oft genug um vier Uhr früh ausrücken. Da ist der Boden kalt und der Kontrast zum warmen Kitz am höchsten. Jetzt ist „Setzzeit“, wie die Jäger es nennen, wenn die Geburten der Rehe anstehen. Bei einigen Landwirten mit Silo steht schon die zweite Mahd an. Und für klassische Heubauern geht es langsam damit an, die höher stehenden Wiesen zu ernten. Zum Glück sind rings um den kleinen Weiler Lueg Josef Simmet oder Jagdpächter Jonas Fürst gut bekannt und vernetzt. Die meisten Landwirte sind offen dafür, dass ihnen dieser Teil an Naturschutzverpflichtung abgenommen wird. Einziges Problem ist oft, dass es dann meist gewaltig eilt. Ein Tag Vorlauf wäre schon gut, um noch rechtzeitig retten zu können, sagt Josef Simmet. Denn wenn das Kitz gefunden ist, dann steht die Arbeit erst noch bevor. Mit Handschuhen und in Grasbüschel gepackt wird das Tier möglichst „witterungsneutral“ zu einem sicheren Gebüsch gebracht und mit einem Wäschekorb gegen das Weglaufen gesichert. Maximal drei bis vier Stunden darf das dauern, bevor die Wiese möglichst gemäht und „klein Bambi“ wieder mit der Mutter vereint sein soll.
Immerhin an die dreißig Kitze sind heuer so schon auf Reisen gegangen. Die Anfragen werden immer mehr, auch über das eigene Revier hinaus. Mittlerweile sind drei Vereinsmitglieder flugberechtigt und die Anschaffung eines zweiten Geräts wird überlegt. Spenden sind dafür herzlich willkommen. Oder weitere Mitmacher, die die Drohne flankieren wollen. Der Verein würde das gewonnene Wissen auch gerne an andere potenzielle Luftretter weitergeben.
In den ersten Wochen machen sich Rehkitze eher klein statt zu flüchten. Was evolutionär sinnvoll war ist bei nahenden Mähwerken ein tödlicher Fehler.
Ein Vorwurf ärgert die Tierretter aber mächtig, den sie gelegentlich zu hören bekommen: Erst würden sie die Tiere vor dem Tod bewahren, nur damit die Jäger sie später wieder erlegen können. Aber für sie macht es einen entscheidenden Unterschied, ob ein Kitz unnötig und grausam unter kreiselnde Messer gerät und zudem für die Tiere des Landwirts deren Futter gefährlich verunreinigen könnte, oder ob Wild per waidgerechter Jagd nach einem Leben in der Natur erlegt wird und dem Menschen auch noch ein Stück erstklassiger Nahrung liefert, wie Jonas Fürst betont. Da kann er dahinterstehen. Einem falschen Image, wonach der Landwirt oder Jäger keinen Respekt vor der Schöpfung habe, will er so aber auch entschieden entgegentreten. Und Josef Simmet ergänzt: „Ja, wenn ich niedliche Kitze mit großen Bambiaugen sehe, dann werde ich auch schon mal ganz weich.“