DER SCHLÜSSELMACHER VON PRETORIA
Sogenannte Knastfilme sind sehr beliebt, jedenfalls bei mir und nicht selten enden diese Geschichten mit einem Ausbruch unserer eingebuchteten Helden. Der neueste Vertreter dieses von mir allzu geliebten Subgenres ist FLUCHT AUS PRETORIA und dieser hat natürlich auch die üblichen Zutaten: einen unschuldigen Helden, ein scheinbar ausbruchsicheres Gefängnis, schreckliche Haftbedingungen und schikanierende Wärter. Viel altbekanntes also, dennoch konnte mich der Film in seinen Bann ziehen und warum das so war, das beschreibe ich euch in den folgenden Zeilen.
KURZ NOCH ETWAS ZUR STORY:
1970: Der südafrikanische Widerstand gegen das Apartheid-Regime ist im vollen Gange und es sind schon längst nicht mehr nur Schwarze, die sich gegen diese Unmenschlichkeit aufbäumen. Auch weiße Männer und Frauen engagieren sich gegen das rassistische System. Zwei davon sind Tim Jenkin (Daniel Radcliffe) und Stephen Lee (Daniel Webber), die zwar aus privilegiertem weißen Hause stammen, aber dennoch etwas gegen staatlich verordneten Rassismus haben. Daher beschließen sie, statt immer nur zu reden, jetzt auch handeln zu müssen. Doch dies hat schwerwiegende Konsequenzen. Wegen einiger Flugblätterbomben werden die beiden zu acht und zwölf Jahren Gefängnis verurteilt und kommen als politische Gefangene in das berüchtigte Gefängnis in Pretoria. Doch die beiden Freunde haben nicht vor, lange in dieser Hölle zu verweilen und schmieden einen waghalsigen Fluchtplan. Der französische Mithäftling Leonard (Mark Leonard Winter) ist sofort dabei, als ihm die Neuankömmlinge von ihrem Vorhaben erzählen. Gemeinsam wollen sie in der Gefängniswerkstatt hölzerne Schlüssel für alle Türen des Gefängnisses anfertigen, um damit auszubrechen und schnellstmöglich wieder im aktiven politischen Kampf mitzuwirken...
Die Autobiographie INSIDE OUT: ESCAPE FROM PRETORIA, des 1948 in Kapstadt geborenen Tim Jenkin stand für den spannenden Film Pate. Darin schildert er detailliert seinen abenteuerlichen Ausbruch aus dem Staatsgefängnis. Inwieweit sich das Ganze mit den tatsächlichen Geschehnissen deckt, wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben. Das gering budgetierte Thriller-Drama wurde allerdings nicht in Südafrika, sondern in Adelaide in Australien gedreht. Bei FLUCHT AUS PRETORIA rückt der Gefängnisalltag der Häftlinge in den Hintergrund und der Fokus liegt nur auf dem Ausbruch und wie dieser geplant und angefertigt wird. Ein wenig mehr Augenmerk auf die widrigen Umstände, in denen die Häftlinge leben müssen, vor allem in dieser unmenschlichen Zeit, hätte nicht geschadet, dennoch funktioniert der Film auch so ganz ordentlich. Regisseur Francis Annan (THE LONGEST DRIVE) versteht es, wie man mit wenig Aufwand das Maximum an Spannung rausholt. Er generiert eine zugleich federleichte wie bedrückende Atmosphäre, die den Zuschauer ständig bei Laune hält. Ganz egal, ob man den Ausgang der Geschichte kennt oder nicht, Spannung ist garantiert. Erzählerisch bietet FLUCHT AUS PRETORIA nicht viel Neues, aber an intensiver Spannung ist der Film fast nicht zu toppen.
Dank des gut geschriebenen Drehbuchs von Francis Annan und L.H. Adams wird die überaus originelle Ausbruchsmethode detailverliebt und mit ganz viel spannender Authentizität erzählt. Einen großen Anteil an dieser exzellenten Arbeit dürften da auch Stephen Lee und Denis Goldberg haben, denn diese arbeiteten als Berater am Skript mit. Selbst Tim Jenkin war mit von der Partie und am Set in Australien dabei, er hatte nebenbei auch einen kleinen Cameo-Auftritt im fertigen Film. Ich kann es gar nicht oft genug betonen, wie authentisch und verdammt spannend diese von Anfang an gewaltfreie Aktion inszeniert wurde. Die Dialoge werden sparsam, aber lebensnah eingesetzt und die Stimme von Daniel Radcliffe erklärt den Rest. Sehr viel spielt sich im Dunkeln vor Türschlössern ab und wird mit einem manipulativ treibenden Score und netten Spielereien mit der Kamera aufgewertet. Der Regisseur und sein Kameramann Geoffrey Hall kreierten hier wahrlichen Suspense, wenn das Ausbruchs-Trio gleich mehrmals kurz davor steht, zu scheitern oder entdeckt zu werden. Auch wenn manche Zufälle zu stark nach dramaturgisch gestreuten Pfaden riechen, macht ihr Plan dennoch sehr viel Spaß. Selbst das Setting oder die Kostüme können zweifelsfrei überzeugen. Leider wird das Apartheid-Thema zu sehr vernachlässigt und gerät sogar im Laufe der Handlung ganz in Vergessenheit. So ist es ein reiner, fast unpolitischer Gefängnisausbruchsfilm, aber dafür verdammt gut und höllisch spannend.
Daniel Radcliffe hat schon lange bewiesen, dass er sein Harry Potter-Image abgestreift hat und mit ihm als ernstzunehmendem Mimen zu rechnen ist. Auch wenn er hier nicht sein ganzes Können aufzeigen muss, spielt er seine Figur verdammt stark und vor allem authentisch. Man nimmt dem einstigen Harry Potter-Star jederzeit ab, dass er weiß, was er tut. Doch die intensivste und herzlichste Performance liefert Mark Leonard Winter (LOST GIRL - FÜRCHTE DIE ERLÖSUNG) ab. Sein Spiel birgt das größte Potenzial und der Schauspieler weiß es gänzlich auszuschöpfen. Seine Figur hat das nobelste aller Motive: er will endlich nach Hause zu seinem kleinen Sohn. Das Herz des Zuschauers leidet förmlich mit, wenn der 30-minütige Besuch seines Sohnes, der nur einmal im Jahr stattfinden darf, komplett schiefläuft und das Beisammensein vorzeitig abgebrochen wird. Oder wenn ihm sein wertvollstes Hab und Gut, die selbstgemalten Bilder seines Sohnes entwendet werden, dann ist das herzergreifend. Sein innerer Schmerz und seine Verzweiflung sind sichtlich spürbar und sein Schicksal lässt niemanden kalt. Schnell wird klar, diesem Mann bleibt nichts mehr außer die Flucht. Diese persönliche Komponente passt perfekt in die Dreier-Konstellation zwischen dem Mastermind Jenkin und dem Sunnyboy Lee. Daniel Webber (DANGER CLOSE) kann zwar als lockerer Mitausbrecher und loyaler Freund der Hauptfigur überzeugen, hat aber in der eigentlichen Geschichte fast keine einprägsamen Momente.
In AUSBRUCH AUS PRETORIA gibt es keine übertrieben sadistischen Wärter oder hollywoodreife Gefängnisdirektoren, hier spielt sich alles in einem kleineren Rahmen und mit mehr Authentizität ab als in vielen anderen Genrevertretern. Die Wärter und der Direktor sind dennoch böse Menschen und klare Verfechter der Apartheid, aber eben in einem glaubwürdigen Kontext. Zudem wird detailreich und außerordentlich glaubwürdig gezeigt, wie Jenkin seine Schlüssel aus Holz unter höchstem Druck anfertigt und diese dann unter extremer Anspannung ausprobiert. Ein wirklich sehenswertes und atemstockendes, spannendes Kleinod.
FLUCHT AUS PRETORIA ist ein Meisterstück an Spannung, welches den Zuschauer von der ersten Minute an fesselt und nicht mehr so schnell loslässt. Schauspielerisch top, inszenatorisch großartig und mitfühlend authentisch. #Filmliebe
(den Film könnt ihr momentan auf Amazon Prime Video streamen, oder ihr legt euch die DVD zu. Glaubt mir, es lohnt sich!)
Viel Spaß beim Film- und Serienschauen,
euer Thomas P. Groh.