Die Trompetenflechte
Dr. Fritz Haselbeck
Wie Kreaturen aus einer anderen Welt erscheinen Flechten in unseren Wäldern, nimmt man sie aufmerksam in den Blick. In verschiedenen Arten und Ausprägungen kommen sie im Bayerischen Wald besonders häufig vor. Ein interessantes Wesen unter ihnen ist die „Trompetenflechte“. Diesen Namen leitet sie von ihrer Gestalt ab, die dem Musikintrument mit einer runden Vertiefung am oberen Ende ähnelt. Die Flechtenmulden können Regenwasser auffangen, das für ein gesundes Wachstum dringend benötigt wird.
Einzelne Exemplare mit dichterer Gewebestruktur können mit diesen Gefäßen Wassertropfen festhalten und als „Trinkreserve“ eine Zeit lang aufbewahren.
Flechten bestehen aus grundverschiedenen Lebewesen: In einen Schlauchpilz, der den Grundköper ausmacht, nisten sich winzige Grünalgen und Blaubakterien ein. Diese leben in Symbiose, wobei sie sich in Nährstoff- und Wasserversorgung zum gegenseitigen Nutzen unterstützen. Manchmal wachsen sie in Einzelbeständen, meist aber suchen sie enge Gesellschaft mit gleichen oder anderen Flechtengattungen. Dabei breiten sie sich in alle Richtungen aus und bilden teppichartige Kolonien. Sie lieben sonnenbeschienene Lebensorte, sie wachsen auf mürbem Boden, suchen alte Moosgründe auf, man trifft sie auch am Rande von Hochmooren an. Mit Vorliebe besiedeln sie alte Baumstümpfe oder Wurzelgebilde, an denen sie sich fest verankern und jahrelang verweilen. Besonders mögen sie nährstoffreiche Areale mit humusreichem Untergrund. Gelegentlich suchen sie sich auch andere Lebensorte, wie etwa erdnahe Stammbereiche gesunder, im Leben stehender Bäume. Erstaunlich ist, dass sie sich selbst an lebensfeindlichen Stellen, wie etwa auf dünn bemoosten Steinen oder Felsen entwickeln können. Allenthalben verstecken sie sich in hohem Gras oder unter kleinblättrigem Heidelbeergestrüpp, wichtig ist aber, dass immer Sonnenlicht hinzukommt. Es sind bewundernswerte Urgebilde, die kleinen Waldgewächse mit ihren bizarren Formen und ihrem urwüchsigem Aussehen. Märchenhaft sehen die Gestalten aus, die sich bevorzugt vermoderndes Nadelgehölz suchen. Sie werden maximal drei bis bis vier Zentimeter hoch und stellen wahre Überlebenskünstler dar, die selbst Hitzeperioden, langjährige Trockenheit oder eisige Temperaturen überdauern und bei nasser Witterung unbeschadet wieder ins Leben zurückkehren. Es ist vor allem ihr zäher Körper mit mehlig-grieseliger Oberfläche, der ungünstigen Witterungseinflüssen wirksamen Widerstand bietet. Allzu leicht wird die Trompetenflechte mit der Becherflechte verwechselt, die sehr ähnlich aussieht, jedoch eine körnigere „Haut“ aufweist.
In der Naturheilkunde galt Trompeten- und Becherflechte lange Zeit als „Vitalflechte“, die gegen Fieber und Keuchhusten eingesetzt wurde. Flechten reagieren empfindlich auf Verschmutzungen der Luft, insofern gelten sie als „Zeigerwesen“, als natürliche Indikatoren für reine, saubere Luft und intakte Naturwelt.