„Wir reisen her von Abendsbach wohl in der heil’gen Pfingstnacht. Abends schlafts nicht, abends schwer reisen wir daher!“ Diese „Gstanzl“ werden wie jedes Jahr in der Nacht von Pfingstsonntag auf Pfingstmontag zu hören sein, wenn die so genannten Wasservögel wieder von Haus zu Haus ziehen und von den Bewohnern mit Wasser abgeschüttet werden. Doch die wenigsten wissen, woher dieser alte Brauch eigentlich kommt, denn heutzutage sind die guten alten Wasservögel oft nur noch eine Attraktion für Urlaubsgäste. In der Stadt gibt es diesen Brauch sowieso nicht mehr, denn das sogenannte „Abschütten“ funktioniert dort mangels Balkonen und aufgrund der großen Mietshäuser nicht richtig. Es ist gar nicht so einfach, diese alte Tradition zu erklären, denn keiner weiß genau, woher sie eigentlich kommt. Es gibt allerdings die Vermutung, dass das Wasservögelsingen etwas mit dem Frühjahrsbrauchtum zu tun hatte. Früher sprach man nämlich oft vom Kampf des Sommers mit dem Winter, beziehungsweise eher vom Kampf des Frühjahrs mit dem Winter, da man den Sommer damals noch gar nicht kannte. Man sagte sich, dass Sonne und Winter schon miteinander kämpften und dass es letzte Zuckungen des Winters gab, aber dass letztendlich der Frühling bzw. der Sommer gewonnen hat. Damals schüttete man warmes Wasser vom Balkon auf die Wasservögel, damit das warme Wasser den Schnee schmelzen konnte, sodass man durch das Abschütten vom Winter gereinigt wurde. Diese Erklärung der Tradition des Wasservögelsingens setzte sich weitgehend durch und gilt bis heute für das überall bekannte Wasservögelsingen.
Grafenaus Legende zum Wasservögelsingen
Im Grafenauer Raum gibt es allerdings eine ganz eigene Legende dazu: Der Raum Grafenau wurde früher vom Gericht Bärnstein aus regiert. In der Zeit der Hussiten, also um das 15. Jahrhundert, soll es in Bärnstein der Legende nach einen Landrichter namens Wasservogel gegeben haben. Als die Hussiten kamen, hatte er den Auftrag, sie zu vertreiben. Man brachte also heißes Wasser auf die Burg Bärnstein, mischte es mit kaltem Wasser und vertrieb damit die Hussiten. Zu Pfingsten ritten die Burschen von Bärnstein zur Sicherheit die Grenzen ab und als sie zum Stadtplatz kamen, veranstalteten sie Ritter- beziehungsweise Reitspiele mit den Pferden. In der Luft wurde dazu ein Fass mit Wasser aufgehängt, auf das sie mit den Lanzen einstachen, weswegen sie beim Durchreiten nass wurden.
Wasservögelsingen früher und heute
So kommt es, dass bis heute noch zahlreiche Gruppen durch die Orte ziehen und die Leute mit sogenannten „Gstanzln“ ausgesungen werden. Früher ging man am Pfingstsonntag erst um 23 Uhr am Abend los und zog dann bis um 4 oder 5 Uhr morgens durch die Gassen, während die Leute schon sehnsüchtig auf die Wasservögel warteten und bereits Wasser auf die Balkone schleppten, damit die Frauen die Sänger abschütten konnten. Die komplett nassen Wasservögel erhielten als Dank meist Eier, Geld oder weitere Speisen, die sie dann auf einem Bauernhof verzehrten. Die Eier wurden von der Wirtin aufgeschlagen, gebraten und dann in geselliger Runde mit den anderen Gaben verzehrt; das Geld wurde "versoffen". Heutzutage gehen die Wasservögel meist früher los, da sie ein so großes Gebiet abdecken, dass sie es gar nicht schaffen würden, wenn sie erst bei Finsternis losgingen. Im Vergleich zu früher sind die Sprüche aber oft nicht mehr dieselben, da viele das Brauchtum gar nicht mehr richtig kennen und einfach so umhergehen. Doch auch traditionelle Gruppen sind heute noch zu finden, welche die genau geregelte Abfolge der einzelnen "Gstanzln" kennen.
Damalige Abfolge des Wasservögelsingens
Den alten Versen zufolge beginnt der auserwählte Vorsänger, der sich ganz schön viel Text merken muss (früher bis zu 67 Verse!), mit dem Begrüßungsvers „Wir reisen her von Abendsbach wohl in der heil’gen Pfingstnacht“ ehe die restlichen Wasservögel gemeinsam zum Refrain mit „Abends schlafts nicht, abends schwer reisen wir daher!“ einstimmen. Anschließend folgen Verse, die auf den religiösen Sinn von Pfingsten hinweisen und "Gstanzl" zum Geschehen auf den früheren Bauernhöfen, wobei der Bauer, die Bäuerin, die Knechte, Töchter und Dirnen besungen werden (im Anschluss des Textes zu finden). Für die Lehrer und Pfarrer gab es damals sogar eigene Verse, die dann vorm Pfarrhaus oder den Pforten des Lehrers gesungen wurden. Für den Fall, dass die Wasservögel nicht ausreichend nass wurden, baute der Vorsänger den Satz „I moa de ham a Wossernoud!“ in die Verse mit ein, sodass die „Abschütter“ dementsprechend reagieren und die Wasservögel mit noch mehr Wasser abschütten konnten. Der wichtigste Mann im Team, der sogenannte „Eierkoder“, der eine „Kiam“ mit Stroh am Rücken trug, versteckte sich währenddessen meist unter dem Balkon, damit die bisher empfangenen Speisen nicht allzu nass wurden, und wartete auf eine kleine Gabe, denn beim Wasservögelsingen handelt es sich nicht um einen Bettelbrauch, sondern um einen „heischen“ Brauch, bei dem Personen Gaben erbeten, die keinerlei Grund zu betteln haben. Nachdem die einzelnen Verse vorgetragen worden waren, verabschiedeten sich die Wasservögel mit den Worten „Wir ham de Gabe empfangen, jetzt doa ma uns schön bedanken“ und wünschten den „Abschüttern“ noch alles Gute. Für den Fall, dass sie jedoch leer ausgingen, hatte der Vorsänger folgenden Vers parat: „Himmi, Kreiz und Kruzefix, griang ma heid scha wieder nix“. Diese "Gstanzl" beherrschen auch heute noch vereinzelte Gruppen, manche, die das ganze sehr ernst nehmen, stimmen sogar zwei oder dreistimmig mit ein. Egal ob früher oder heute, zum Wasservögelsingen gehört einfach eine Gemeinschaft, die das Brauchtum aufrechterhält, denn ein „Brauchtum ist erst ein Brauchtum, wenn bestimmte Regeln eingehalten werden, die die Gemeinschaft pflegt“, so Karl-Heinz Reimeier, von dem alle Informationen im Text stammen und der früher selbst als Wasservogel unterwegs war.
Regeln des Wasservögelsingens:
1) bei Dunkelheit losgehen
2) kein Haus auslassen
3) beim Abschütten nicht weglaufen
4) schön und richtig nachsingen
5) Durchhaltevermögen
Ein großer Dank gilt Karl-Heinz Reimeier für die "Gstanzl" und das Interview.
Karl-Heinz Reimeier erzählt von den urigen "Gstanzln" und vom Wasservögelsingen.
Falls der eine oder andere nun Lust bekommen hat, sich der Gemeinschaft der Wasservögel anzuschließen, hier zum Abschluss noch ein paar traditionelle Verse zum Einüben:
Nach jedem Vers folgt „Abends schlafts nicht, abends schwer reisen wir daher.“
Verse mit religiösem Inhalt:
Heit is die heilige Pfingstnacht, kommt der Heilige Geist herab.
Die heilige Nacht ist sie genannt, der heilige Geist hat uns gesandt.
Der heilige Geist ein Tröster ist, vom Himmel herab geflogen ist.
Wir reisen über d’greane Wies‘ begegnet uns der Jesus Christ.
Verse, die beim Bauern gesungen werden:
Er nimmt sei Schwingerl untern Arm, schütts den Ouchsn ei in Barn.
Ouchsn, Ouchsn,freßts enks gnua, muaß enk spanna ei in Pflua.
Da Bauer baut an süaßn Kern (Korn), den essn d’Kini und Kaiser gern.
Da Bauer hot a faule Dirn, die kann vom Brunn koa Wossa griang.
Bitten ums Abschütten:
Mia stehn do unter enkerm Do‘, es wird uns do net renga o.
D’Wasservögl muaß na giaßn, sunst möchts es ja vodriaßn.
Tuat enk s’koit Wossa dabarma, so giaßts uns mit an warma.
Zum Dank wird gesungen:
Mia toan ma enk wos wünschn, afs Joahr an junga Prinzn.
Zum Schluss vor jedem Haus:
A guate Nacht, a guate Stund, iatz pfüat eich Gott und schlofts recht gsund.
Wenn das ganze Singen vorbei ist, dann wird in der Dorfmitte gesungen:
Mia ham iatz unsan Schluß gemacht und wünschn ollen a guade Nacht.
Abends schlafts nicht, abends schwer reisen wir daher.