Wo der Böhmwind pfeift

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22.11.2021

Es ist ein wolkenverhangener Raureiftag im Winter. Die Eiseskälte der Nacht rettet sich in den Morgen hinüber. Ich mache mich um sechs Uhr früh von Grainet aus auf den Weg Richtung Dreisessel. Es ist noch finster, ein paar Sterne kann ich erblicken, der Mond war kurz vor halb sechs schon untergegangen. Gut 20 km sind mit dem Auto bis zum Bergparkplatz auf 1250 Metern Seehöhe zu fahren. Dort oben erwarten mich zu Tagesanbruch minus 14 Grad und ein frischer Böhmwind, der von den Moldauniederungen heraufzieht und sich steif über den Kamm gelegt hat. Ich bin warm eingepackt, ein schmaler Gesichtsstreifen bleibt frei, den Fotorucksack geschultert. Die knapp dreiviertel Meter hohe Schneedecke ist zu dieser Zeit wenig für die Berghöhen dort oben. Dünne Wolkenschleier setzen im ersten schwachen Dämmerlicht feine Konturen, doch kann die Morgenhelle bald die Oberhand gewinnen. Eine zauberhafte Naturwelt tut sich auf, frischer Schnee hat sich die Tage zuvor über starre Raureifkrusten und eisige Windfahnen am Berggehölz gelegt. Die verwitterten, oft krüppeligen Fichten, die dürren Vogelbeerstauden haben sich in ein Watteweiß eingemummt, um rauen Bergstürmen Widerhalt zu bieten.

Die Sonne geht in der Grenzregion im Osten Bayerns an diesem Morgen um 7.45 Uhr auf. Der Horizont erhellt sich Minute für Minute, das blasse Graublau weicht einem zarten Orange-Rosa, das sich hoch oben an die Federwolken haftet. Ich versuche mein Fotostativ aufzubauen und die technischen Einstellungen an der Kamera vorzunehmen. Die Finger sind klamm, für ein kurzes Aufwärmen stecke ich dazwischen die Hände in die wolligen Jackentaschen. Nach der Feinjustierung richte ich das Objektiv auf eine lichte Baumszene, danach auf den 1333 Meter hoch gelegenen Hochsteingipfel. Der Schein der ersten Sonnenstrahlen, die sich wie ein Samtschleier über den Berghang legen, bringt ein schönes Zauberwerk zutage, eine Farbenbühne in zartem Pastell, wie ich sie bisher noch nie erlebt habe. Sie liegt dezent in getünchtem Pastell vor mir, reichhaltig an Stimmungsnuancen, die zusammen mit der auferstehenden Morgennatur einfach erlebenswert ist. Die Natur bietet auf feine künstlerische Art heute Morgen ihre besten Kulissen und Schauspieler auf. Nur etwa zwei Minuten dauert das animierende Szenenspiel. Im erhellenden Licht werden sie dann sichtbar, die eingelullten Bergfichten und Sträucher, umhüllt von kristallenem Frostwerk und geschliffenen Eisdiamanten. Die Aufnahmen waren für mich eine echte Herausforderung, konnte doch die Kamera wegen der klammen Finger immer nur sekundenweise bedient werden. Die Fokussierung, der passende „Klick“ musste in jedem Moment sitzen! So wurden beeindruckende Naturbilder und Lichtimpressionen auf den Chip gebannt.


- DH



Quellenangaben


Bildupload: Dr. Fritz Haselbeck

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